Die Verschmutzung des Tietê, als wichtigster São Paulo durchquerender Fluß, ist heute noch schlimmer als vor 18 Jahren, als mit dem Säuberungsprojekt begonnen wurde. Laut einem in der Zeitung Folha de S. Paulo veröffentlichten Artikel weist der historische Rio Tietê, – von den Eingeboreren “der wahrhaftige Fluß” oder auch “das gute Wasser” genannt, sowie von den Bandeirantes auf ihren Streifzügen durch den Sertão benutzt -, nachdem bereits 1,6 Mrd. Dollar investiert wurden, einen sehr schlimmen Verschmutzungsgrad auf. Wie von CETESB, der Behörde für Umweltsanierungstechnologie des Bundesstaates São Paulo ermittelt wurde, ist dort wo für die verschiedenen Versuche ein Wasserqualitätsindex mit neun unterschiedlichen Maßstäben zur Anwendung gekommen ist, der Prozentsatz des im Wasser aufgelösten Sauerstoffes praktisch gleich Null gewesen. Dieser Wert macht jede Art von übergeordnetem Leben im Paulistaner Abschnitt des Flusses unmöglich und verwandelt den Tietê in eine riesige Zuchstätte für Fäkalien und viele von der Wissenschaft noch garnicht eingestufte Bakterien.
Man denke an den im Jahre 1992 erfolgten Beginn dieses Projekts zurück, als in einem Lied der beiden Sertanejos Chitãozinho und Xororó zu hören war, daß die Bevölkerung São Paulos im Rio Tietê wieder schwimmen können würde. Der damals amtierende Governeur des Bundesstaates São Paulo, Luiz Antonio Fleury Filho behauptete, daß er bald das Wasser aus dem Fluß trinken könne und sich die Flußverschmutzung während seiner Amtszeit halbieren würde. Wenn man die trügerische Werbung und die politischen Prahlereien einmal außer Acht läßt, ist Salesópolis der einzige Ort, wo der Tietê sauber ist, und das ist an seiner Quelle, die 101 Km von der Hauptstadt entfernt ist. Erst 145 Km flußabwärts, also auf der Höhe der Stadt Tietê, beginnt sich der Fluß dann wieder langsam zu erholen. Fische, Vögel, Wasserschildkröten und Wasserschweine sind dort laut einer Reportage der Zeitung Folha de S. Paulo wieder zu sehen.
Die Säuberung des Rio Tietê hat bereits zwei Phasen hinter sich und man hat inzwischen mit einer dritten begonnen. In einer ersten Etappe hatte SABESP, die bundesstaatliche Behörde für Wasser-, Boden- und Luftsanierung, als das koordinierende Organ dieses Projektes in den Bau von drei Abwasserbehandlungsanlagen investiert. In einer zweiten Phase wurde das Absperrsystem sowie das Abwasserleitungsnetz erweitert. Die dritte, 2010 begonnene und bis 2015 reichende Etappe sieht eine Erweiterung des Abwasserleitungsnetzes, und zwar für immer weiter von der Hauptstadt entfernte Gegenden vor, die im Jahre 2020 dann 100 Prozent des Auffangens und der Behandlung erreichen soll.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist nur die Hälfte der 18 Millionen im Großraum São Paulo lebenden Menschen an die Abwasserentsorgung und –behandlung angeschlossen. So gibt es noch immer 10 Städte wie z.B. Guarulhos und Barueri, die bis Ende des Jahres 2010 noch keinen einzigen Tropfen ihrer Haushaltsabwässer behandelt haben. Darüber hinaus ist laut Fachleuten seit Beginn des Tietê-Dekontaminierungsprozesses das Wachstum der Stadtbevölkerung konstant geblieben, was die Lage nur noch verschlimmert, da immer mehr Müll erzeugt wird, von dem ein Teil dann ebenfalls in den Fluß wandert.
Trotz der vielen noch zu lösenden Probleme ist es durchaus möglich, bei der Säuberung des Rio Tietê sehr gute Ergebnisse zu erzielen. In Südkorea hat die Hauptstadt Seoul vieles mit São Paulo gemeinsam: das schnelle Wachstum der Bevölkerung, der dichte Verkehr, die Kanalisation von Bächen sowie das Fehlen einer Abwasserbehandlung. Nichtsdestotrotz konnte die Stadt durch Planung, Investitionen und effizienter Verwaltung im Laufe von 20 Jahren den Fluß Han nahezu völlig sanieren und darüber hinaus auch noch das städtische Umfeld verbessern. Mit entsprechendem Druck der Öffentlichkeit könnten wir auch hier bei uns das Gleiche erreichen.
(Ursprünglich in der Zeitung “Brasil-Post” erschienen)
(*) Ricardo Ernesto Rose ist seit 1992 Berater für Martkforschung und Markteinführung in den Sektoren Umwelt und erneuerbare Energien. Er hat für das Amerikanische Konsulat (U.S. Department of Commerce) sowie für die Deutsche Auslandshandelskammer (AHK) in São Paulo gearbeitet. Er hat Bachelorabschlüsse in Journalistik und Philosophie und schloss im Folgenden einen MBA in Umweltmanagement sowie einen Aufbaustudiengang in Soziologie ab. Hr. Rose ist Autor von vier Publikationen über den brasilianischen Energie- und Umweltmarkt